Fünf Fragen an Martin Maurer

11.11.2020
Fünf Fragen an Martin Maurer

Deine neue Krimireihe um Kommissar Nick Marzek, zu der »Die Krieger« der Auftakt bildet, spielt im München des Jahres 1984. Was hat Dich an den Achtzigerjahren gereizt, und was waren die Herausforderungen dieses historischen Settings?

1984 war ich 16 Jahre alt. Die 80er waren die Zeit meiner Jugend, prägende Jahre, und allein deshalb war die Idee für mich reizvoll, mit großem zeitlichem Abstand auf diese Epoche zurückzublicken. Für mich persönlich waren die 80er eine Zeit der Widersprüche: atomare Bedrohung, Waldsterben, die Tschernobyl-Katastrophe und dabei gleichzeitig das Gefühl, auf geradezu erstickende Weise behütet zu sein. Anders als in der DDR waren die Mütter in Westdeutschland ja zum großen Teil noch Hausfrauen, nach der Schule stand also das Essen auf dem Tisch, die Welt fühlte sich »in Ordnung« an. Dabei befand sie sich im Krieg, in einem »kalten« Krieg zwar, aber doch im Krieg. Das ist der zweite Aspekt, der mich an dieser Zeit interessiert. Ich glaube, dass über die Methoden, mit denen der Kalte Krieg geführt wurde, noch längst nicht alles gesagt ist. Die Krimireihe um Kommissar Nick Marzek will dazu einen Beitrag leisten. Womit ich bei den Herausforderungen bin: Das Unternehmen war und ist sehr, sehrrechercheintensiv.

Dem Roman liegt ein wahrer Fall zugrunde, den Du fiktional weiterspinnst bzw. ausklei-dest. Was sind die Vor- bzw. Nachteile gegenüber einer rein fiktiven Handlungskonstruktion?

Das hat einfach mit persönlichem Interesse zu tun. Mich interessiert am Verbrechen nicht die Frage, wer wen umgebracht hat, mich interessiert das politische und gesellschaftliche Umfeld, in dem ein Verbrechen passiert. Für solche Untersuchungen eignet sich eine Mord-serie, wie die der Gruppe LUDWIG zugeschriebene, natürlich hervorragend. Der Nachteil ist allerdings: Das Unternehmen ist sehr, sehr rechercheintensiv ...

Wie bist Du bei der Recherche vorgegangen? War es leicht, Gesprächspartner zu finden und an Material zu gelangen? In welchen Bereichen hast Du recherchiert?

An dieser Stelle muss ich einfach mal erwähnen, dass das Unternehmen sehr, sehr ... Ach, hatte ich schon? Dann mach ich’s kurz: Es gab zwei Rechercheschwerpunkte. Der eine war natürlich die Mordserie der Gruppe LUDWIG. Das wichtigste Material dazu, zwei Sachbücher und einige Dokumentationen verschiedener italienischer Sendeanstalten, existiert nur auf Italienisch. Der zweite Rechercheschwerpunkt war das München der 80er-Jahre, der Brandanschlag auf die Diskothek »Das Gartenzimmer«„Liverpool“ und die damalige Polizeiarbeit. Dafür habe ich über etwa zwei Jahre hinweg im Stadt- und im Staatsarchiv München recherchiert. Bei den Recherchen zur Polizeiarbeit hat mir die Pressestelle des LKA München sehr geholfen und mir mit dem ehemaligen Ersten Hauptkommissar Wolfgang Stoephasius einen ebenso sym-pathischen wie kompetenten Mann vermittelt, der die 80er in München als LKA-Ermittler noch selbst erlebt und mir geduldig alle Fragen beantwortet hat. Er hat mich sogar in die Weinstube Feldmann geführt, wo die LKA-Kollegen sich nach Dienstschluss regelmäßig trafen. Außerdem konnte ich mit dem ehemaligen Leiter der Münchner Mordkommission Josef Wilfling sprechen, dessen Ausführungen sehr interessant und wichtig für das Buch waren. Von ihm stammt die Anekdote vom baufälligen Gebäude mit dem Getränkeautomaten und dem Loch im Boden, in dem die Mordkommission untergebracht war. So etwas kann man sich als Autor nicht ausdenken. Einen Teil meiner Recherchen habe ich übrigens, mit freundlicher Genehmigung der Rechteinhaber, auf meiner Webseite martinmaurer.eu online gestellt.

Gleichermaßen spannend wie beängstigend sind die Parallelen, die sich teilweise zwischen den damaligen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen und den heutigen ziehen lassen. War Dir das vorher bewusst oder ist Dir das erst bei der Recherche und beim Schreiben bewusst geworden, wie brisant der Stoff auch noch heute ist?

Auf die Mordserie der Gruppe LUDWIG bin ich bereits vor über zehn Jahren im Zusam-menhang mit den Recherchen zu meinem Buch »Terror« gestoßen. Das war kurz vor dem Bekanntwerden der NSU-Morde 2011. Ich kann mich noch erinnern, wie verstörend die Parallelen dieser beiden Mordserien damals für mich waren. Es wäre sicherlich interessant, einmal Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Tatkomplexen genauer zu untersuchen. Es ist eine traurige Tatsache, dass ähnlich verblendete und fanatische Täter aktuell wieder für Schlagzeilen sorgen, ob in Hanau, Halle oder jüngst in Frankreich.
Nick und Graziella, die Putzhilfe, die ihm als Übersetzerin an die Seite gestellt wird, sind ein sehr besonderes Ermittlungsduo. Was hat Dir am meisten Freude bei den Figuren und ihrer Dynamik gemacht? Und kannst Du schon einen kleinen Ausblick geben auf das, was sie im nächsten Fall erwarten wird?


Das ungleiche Paar, das gezwungen wird, am selben Strang zu ziehen, und erkennen muss, dass es nur gemeinsam erfolgreich sein kann, ist natürlich ein bekanntes und beliebtes Motiv in der Literatur. Das in diesem Kontext zu variieren, hat großen Spaß gemacht. Ich hoffe sehr, dass die Leserinnen und Leser ebenso viel Vergnügen daran haben, Nick und Graziella dabei zu folgen, wie sie sich langsam aneinander herantasten, und dass die Art und Weise, wie die beiden miteinander umgehen und schließlich zu einem funktionierenden Ermittlerduo werden, tatsächlich den beabsichtigten Ton, einen gewissen lakonischen Humor und etwas menschliche Wärme, in diese düstere Geschichte bringt. Natürlich sind mir die beiden während des Schreibprozesses sehr ans Herz gewachsen und deshalb kann ich auf jeden Fall sagen, dass Nick und Graziella neben einem neuen, wieder authentischen Fall, über den ich hier noch nichts verraten möchte, die Geschehnisse im Zusammenhang mit der Gruppe LUDWIG auch im nächsten Band weiter beschäftigen und noch enger zusammenführen werden.

Dieses Gespräch führte Angela Tsakiris, Lektorin bei DuMont.