»Magnifica« ist eine bewegende Familiengeschichte in Romanform - und zudem das erste Buch der italienischen Schriftstellerin Maria Rosaria Valentini, das in deutscher Übersetzung erschien. Aus diesem schönen Anlass haben wir mit der Autorin gesprochen.
Die Handlung des Romans setzt in der Nachkriegszeit in einem kleinen Dorf in Italien ein. Wieso haben Sie diesen Schauplatz gewählt?
Als Kind erzählten mir meine Eltern und Großeltern viel über den zweiten Weltkrieg und über das schwierige Leben in der Nachkriegszeit. Dabei betrachteten sie diese Jahre aber nicht aus einer politischen Perspektive, wollten also zum Beispiel nicht nach Verantwortlichen und Schuldigen suchen, sondern berichteten stattdessen von den persönlichen Schicksalen und dem Leid der Menschen, egal welcher Religion, politischer Gesinnung oder Herkunftsland. Ich war fasziniert von diesem Thema und es überraschte mich sehr, dass die schmerzhaften Auswirkungen des Krieges sogar bis in die kleinen, italienischen Dörfer, in denen meine Verwandten lebten, hineinreichten. Noch als Erwachsene habe ich oft an jene Orte gedacht, verborgen unter Wäldern und scheinbar vergessen. Deswegen siedelte ich »Magnifica« in so einem kleinen Dorf an. Außerdem war es mir noch wichtig, der Natur einen großen Raum in der Geschichte einzuräumen. Mein Ziel war eine Handlung, in der sowohl Menschen als auch Natur gemeinsam im Vordergrund stehen.
Ihr Buch beschreibt rührend Zusammenhalt innerhalb einer Familie – aber auch schwierige Zeiten in ungewöhnlichen Familienkonstellationen. – Wie definiert sich Familie in Magnifica?
Die Hauptfiguren in »Magnifica« finden sich häufig in schwierigen und ungewöhnlichen Lebenssituationen wieder. Die Mitglieder Magnificas Familie sind ein Symbol für Diversität. Es handelt sich um eine atypische Familie, letztendlich eine Patchworkfamilie avant la lettre. Die Mitglieder zeigen unterschiedliche Verhalten, haben unterschiedliche Träume, treffen unterschiedliche Entscheidungen und schöpfen so voneinander Leid und Furcht, aber allen voran Kraft, Leidenschaft, Motivation und Mut.
Die Geschichte zieht sich über mehrere Generationen. Wieso wählten Sie für Ihren Roman diesen langen Zeitraum und beschreiben gleich mehrere Lebensgeschichten?
Ich denke, dass das Gedächtnis und das Wissen um die eigene Familiengeschichte eine große Rolle für die Entwicklung und die eigene Existenz spielt. Die Vergangenheit der Familie sind die Wurzeln der eigenen Zukunft. Deswegen habe ich mich entschieden, die Geschichte über mehrere Generationen zu erzählen.
Im Zentrum des Romans stehen Biografien von starken und mutigen Frauen, die vor allem in Sachen Liebe eigenwillige Entscheidungen treffen. Was inspirierte Sie zu dieser starken, weiblichen Perspektive?
Die Würde der Frauen liegt mir am Herzen. Noch heute wird zu vielen Frauen auf der ganzen Welt Respekt verweigert. Zu viele Frauen werden unterschätzt, verletzt, missbraucht. Deswegen widme ich mein Schreiben häufig weiblichen Figuren. Die Frauen in »Magnifica« sind tatsächlich mutig und stark. Selbstbewusst und kämpferisch treten sie bis zur letzten Minute ihren schwierigen Schicksalen gegenüber, brechen mit Konventionen, vor allen Dingen im Bereich der Liebe. Mehrere Frauen, die ich persönlich treffen durfte, haben mich beim Schreiben inspiriert. Es handelte sich um Frauen ohne Ruhm, die trotzdem jeden Tag für ihre Rechte eintraten.
Immer wieder rückt auch der Tod ins Zentrum des Romans. Welche Bedeutung hat der Tod für die Erzählung?
Im Allgemeinen wird über den Tod wenig und ungerne gesprochen. Ich habe außerdem den Eindruck, dass es in unserer heutigen Gesellschaft die Tendenz gibt, den Tod überwinden zu wollen. Je mehr wir ihn jedoch verdrängen, desto schwerer fällt uns die Auseinandersetzung mit ihm. Da die Bewohner im Buch im Einklang mit der Natur leben, wissen sie auch um den Tod und sein Wesen. So wird Ada Marias kleiner Bruder Pietrino sogar zum poetischen Fährmann der Seelen. Der Tod findet im Buch zwischen Familie, Leben und Schmerz, Aberglauben und Fantasie, Hoffnung und Trost, Schönheit und Brutalität seinen eigenen speziellen Platz.
Auffällig ist auch die Verwendung von Natur und Naturmotiven. Wofür stehen sie im Roman?
Ich habe mir gewünscht, die Figuren und die Natur in »Magnifica« auf eine Ebene zu stellen. Die Natur ist beteiligt am menschlichen Leben, nimmt an unseren Erfahrungen Teil und beeinflusst sie sogar. Deswegen wollte ich von unserer Erde erzählen, von der wir ein Teil sind, obwohl wir es oft vergessen. Von ihren Bäumen, Pflanzen, Tieren, Gerüchen und Farbe erzählen. Ich wollte auch mit Symbolen aus der Natur arbeiten, so spielen zum Beispiel Schmetterlinge und ihre Vergänglichkeit eine große Rolle.
Der Titel des Buches ist »Magnifica«. Hätte auch jede anderen der Protagonistinnen zum Titel werden können? Was macht Magnifica besonders?
Auch Magnificas Mutter Ada Maria durchlebt wirklich viel in ihrem Leben und hätte zweifellos ebenso zur Titelträgerin werden können. Aber Magnifica ist das Ende einer langen Kette von Frauen in der Familie. Sie ist die Tochter eines Unbekannten, die Erste mit einer weiterführenden Schulbildung, die Erste, die das Dorf verlässt und in die Stadt geht. Sie bewegt sich außerhalb des eigenen Horizontes, trotzdem sind ihre Ideen dahinter in der Familiengeschichte verwurzelt. Deswegen findet sie auch die Kraft, neue Wege zu gehen und in die Zukunft zu schauen. Außerdem ist Magnifica auch von der Magie des Schreibens fasziniert und möchte selbst über ihre Familie schreiben.
Die Fragen stellte Judith Radermacher.